Freitag, 9. Oktober 2020
Früher war alles besser! Vortrag von Werner Gill, IGW, Würzburg Wer hat sich noch nicht bei diesem Gedanken ertappt? Wer hat diesen Satz nicht schon einmal ausgesprochen, wenn der Alltag oder das heraufziehende Alter mühsam waren? Ja, die Sehnsucht nach einem paradiesischen Urzustand gibt uns Kraft und lässt uns bisweilen melancholisch zurück. Wie verträgt sich dies mit einer Grundannahme unserer Profession: der Veränderung? Ich biete Ihnen einen Streifzug durch die Geschichte und Philosophie und verrate Ihnen schon mal, dass ich Science Fiction mag.
Emigranten, Heimatsucher und Pioniere der Moderne:
Vom historischen Kontext der Gestalttherapie Vortrag von Bernd Bocian, Gestalttherapeut, Genua Am Beispiel von Fritz Perls, dessen Lebenserfahrungen den Gestaltansatz wesentlich geprägt haben, werde ich daran erinnern, was wir in diesen Zeiten von den Überlebenserfahrungen einer durch den deutschen Nationalsozialismus vertriebenen und emigrierten Großstadtavantgarde, der sogenannten Expressionistischen Generation, lernen können. Die Gestalttherapie trägt aktuelle Erfahrungen in sich, die sowohl eine Ganzheitsutopie enthalten als auch die Erfahrung im Umgang mit Brüchen, Dissoziationen und Identitätsbedrohungen.
Ab 20.00 Uhr steht Ihnen ein Buffet von „Ollerhond Selbergmochts“ von den Sarner Frauen zur Verfügung. Die musikalische Begleitung übernimmt die Gruppe „Di Vogaiga“ aus Bruneck.
MEHR PROGRAMMDETAILS ORGANISATORISCHES INFOANFORDERUNG ZUR ANMELDUNGSamstag, 10. Oktober 2020
The stranger at the door. Towards a field perspective in clinical practice Vortrag von Gianni Francesetti, Internationales Institut für Gestalttherapie,Turin The field concept has been used in psychotherapy in a variety of ways by different authors, but also in a variety of ways by the same authors at different times. Without clarifying the meaning of the term, the risk is to create a Babylonian confusion in which it is often unclear what we are talking about. The impact of a field perspective in psychopathology, diagnosis and psychotherapy can be revolutionary in its consequences on how the therapist approaches the session and conducts therapy. The differences between a personal, a dialogical and a field theory paradigm will be discussed. This perspective helps us to understand the therapeutic work in a radically relational light and to describe the transference and counter transference phenomena according to Gestalt therapy theory.
Von Fledermäusen, Scheunen und Fallschirmen:
Per Anhalter durch die moderne Einfühlungsforschung Vortrag von Annette Hillers-Chen, Universität Hangzhou, China Empathie ist wieder einmal in aller Munde. In den letzten 10 Jahren überholen sich sämtliche wissenschaftliche Fachrichtungen gegenseitig mit immer neuen Befunden und Annahmen zu diesem Themenfeld, so dass man leicht den Überblick verlieren kann. Wo ist vor lauter Empathie die Einfühlung geblieben oder wie hat sich das Konstrukt über die Zeit verändert? Ist das Erleben von Gefühlen an sich schon eine Fähigkeit? Trägt unser „Sich-in-andere Hineinversetzen“ wirklich zu einem besseren gegenseitigen Verständnis bei? Und was ist los mit den viel zitierten Spiegelneuronen: Ein „Mythos“, dem wir nicht weiter aufsitzen sollten? Lassen Sie sich mitnehmen auf einen Streifzug durch die Gedankengänge der modernen Einfühlungsforschung.
Fritz Perls – der Hungertrieb – damals – heute – morgen Vortrag von Johann Christian Bachl, IGW Wien Ein großes Verdienst von Fritz Perls ist die detaillierte Beschreibung organismischer Vorgänge (die er bereits in seinem ersten Buch „Das Ich, der Hunger und die Aggression“ herausarbeitet) womit er damals eine explizite Gegenposition zur weit verbreiteten Triebtheorie Sigmund Freuds einnahm. Aus genauer Beobachtung und analogen Schlussfolgerungen, z.B. des Prozesses der Nahrungssuche und Nahrungsaufnahme am Beispiel des Stillvorganges, definierte Perls den Hungertrieb, der durch aktuelle Forschungen (z.B. selfish brain – Achim Peters, Lübeck) bestätigt wird. In einer ganzheitlichen, organismischen Sichtweise wird die willkürliche Trennung von körperlichen und seelischen Prozessen überwunden und die permanent ablaufenden Regulationsvorgänge im menschlichen Organismus neu verstanden. Aus dem entweder körperlich oder seelisch wird ein „Und“, das die enge Verwobenheit von körperlichen und seelischen Prozessen als permanent ablaufende Funktionen unseres Nervensystems, Immunsystems und unserer Organe beschreibt und begreift. In meinem Vortrag möchte ich den aus heutiger Sicht bahnbrechenden Ansatz von Fritz Perls würdigen, der damals einen Paradigmenwechsel einleitete, der sich bis heute fortsetzt. Der Hungertrieb ist für unser Überleben als menschliche Organismen von eminenter Bedeutung. Die Gleichzeitigkeit von erstem Sattwerden und erster Kontakterfahrung außerhalb des Mutterleibes prägt nachhaltig unser Ernährungs- und Beziehungsverhalten. Die hohe Variabilität an neurogenen Verschaltungsprozessen basierend auf diesen beiden Erlebnisqualitäten formt wesentlich unser individuelles Erscheinungsbild.
Workshops Am Nachmittag finden verschiedene Workshops zu spannenden Themen statt.
ZU DEN WORKSHOPS
Festabend
Ab 19.00 Uhr startet der Festabend mit einem Buffet und Gesangseinlagen mit Anna Lucia Nardi, begleitet von Andreas Benedikter.
MEHR PROGRAMMDETAILS ORGANISATORISCHES INFOANFORDERUNG ZUR ANMELDUNGSonntag, 11. Oktober 2020
Wie meine Zeit vergeht. Psychologie und Neurobiologie unseres Ich- und Zeitgefühls Vortrag von Marc Wittmann, Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene, Freiburg Zeitbewusstsein und Ich-Bewusstsein bedingen sich gegenseitig. Subjektive Zeit wird durch das Selbstgefühl – verankert im Körpererleben – generiert. Diese Erkenntnisse lassen sich in phänomenologischen Konzeptionen der Verkörperung (Embodiment) einbetten. Die Ich-Wahrnehmung basiert auf einer Präsenz der Körperlichkeit über die Zeit. Die Analyse der alltäglichen Fluktuationen von Bewusstseinszuständen – zwischen Flow und Langweile – verdeutlicht, wie die Zeit und das (Körper-) Selbst gemeinsam moduliert werden. Meine Forschung mit funktionaler Bildgebung zeigt, wie die Areale des Gehirns, die Körpersignale verarbeiten, der insulare Kortex, auch an der Zeitwahrnehmung beteiligt sind. Phänomene der extremen Verlangsamung der Zeit bis hin zum Gefühl der Zeitlosigkeit in veränderten Ich-Bewusstseinszuständen können in diesem konzeptionellen Rahmen verstanden werden. Ich stelle zudem Befunde aus der Neurologie und Psychiatrie vor, die zeigen, wie subjektive Zeit, Körperwahrnehmung und Selbstbewusstsein gemeinsam moduliert werden und wie darauf basierend ein komplementärer Ansatz für Therapien erfolgen kann.
Musik, Selbst und Identität: Perspektiven aus der empirischen Ästhetik Vortrag von Melanie Wald-Fuhrmann, Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt/M. Das Hören und Machen von Musik sind nicht nur angenehme und erfüllende Freizeitbeschäftigungen, sondern können auch analysiert werden als ein Bereich, in dem Individuen mit ihrem innersten Selbst in Berührung kommen, verschiedene Identitäten ausprobieren, sich selbst erkunden und gegenüber anderen ausdrücken.
Im Vortrag soll dieser Gedanke u.a. am Beispiel zweier Forschungsthemen aus dem Bereich der empirischen Musikästhetik ausgeführt werden: dem Musikgeschmack als Spiegel und Ausdruck von Identität(en) sowie einem besonders intensiven Typus musikalischer Erfahrungen, in denen die Selbstaktualisierung eine besondere Rolle spielt.
Tiefe neuronale Netze in der mobilen Datenerhebung und Intervention Vortrag von Georgia Koppe, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim Portable und tragbare Geräte wie Sensoren und Smartphones bringen beispiellose neue Chancen und Möglichkeiten mit sich, um psychiatrisch relevante Gesundheitszustände zu identifizieren und zu verbessern. Die Geräte sind für jedermann zugänglich und erschwinglich und ermöglichen es uns in Echtzeit große Mengen an ökologisch validen und klinisch prädiktiven Informationen zu sammeln und potentiell sogar rückzukoppeln. Solche Daten könnten dazu genutzt werden bevorstehende Symptome, Frühwarnzeichen oder Risiken zu prädizieren und bilden gleichzeitig die Basis für personalisierte Echtzeitinterventionen (ecological momentary interventions) oder weitere begleitende Maßnahmen einer Psychotherapie.
Dennoch kommen mit diesen vielfältigen Möglichkeiten auch große noch ungelöste Herausforderungen auf uns zu. Beispielsweise entstammen die Daten, die wir erheben, oftmals aus verschiedenen Modalitäten (z.B. kategoriale Stimmungseinschätzungen vs. kontinuierliche Bewegungssignale). Darüber hinaus verbirgt sich relevante Information in unterschiedlichen zeitlichen Skalen (z. B. Millisekunden-Tippdynamik vs. Schlaf-Wach-Tages-Rhythmen). Wie genau wir diese Informationen zusammenbringen um prädiktive Merkmale zu extrahieren bleibt unklar, zumal uns oftmals Hypothesen hierzu fehlen. Hier stelle ich einen Ansatz vor, um diese Herausforderungen mithilfe von statistischen Modellen basierend auf rekurrenten neuronalen Netzen (RNNs) zu bewältigen. RNNs lassen sich dabei als KI basierte Instrumente verstehen, die v.a. für die Analyse von sequenziellen Zeitreihendaten, genutzt werden. Ich werde zeigen, wie wir diese Modelle verwenden können, um bevorstehende mentale Zustände zu prädizieren, die Effekte von Umweltreizen (wie Medikation oder sozialen Kontakten) zu simulieren, sowie um ein tieferes Verständnis von eigenen Verhaltenskontingenzen zu erlangen.
Zum Ausklang: Resümee, Ausblicke und Abschied
mit Dorothee Lengsfeld, Georg Pernter und Werner Gill
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